Tagungsbericht: 25 Jahre Aufarbeitung der Geschichte der sowjetischen Speziallager

Von Alexander Walther, Europäisches Kolleg Jena. Das 20. Jahrhundert und seine Repräsentationen, Friedrich-Schiller-Universität Jena

 

Im Januar 2015 hatte die Fraktion der Alternative für Deutschland im Thüringer Landtag mit einer geplanten Kranzniederlegung in der Gedenkstätte Buchenwald für Aufsehen gesorgt. Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, zugleich bundesweiter Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, wollte die AfD einen Kranz, der an alle „Opfer des Konzentrations- und Speziallagers Buchenwald“ erinnern sollte, niederlegen. Nach Protesten wurde die Spruchformel zwar zu einem unkonkreten „In stillem Gedenken“ geändert. Gleichwohl zeigt sich hier, wie auch 25 Jahre nach Beginn der Aufarbeitung der Geschichte der sowjetischen Speziallager diese noch immer polarisieren kann und wie attraktiv eine Gleichstellung und damit Gleichwertung der Konzentrations- und Speziallager mit Rückgriff auf die Totalitarismus-These weiterhin ist.

 

Die Jahrestage der Einrichtung und Auflösung der sowjetischen Speziallager und der Beginn ihrer Aufarbeitung waren Anlass für die Konferenz „25 Jahre Aufarbeitung der Geschichte der sowjetischen Speziallager“, die vom 25. bis 27. Juni im Goethe-Nationalmuseum Weimar durch die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Zusammenarbeit mit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und der Stiftung Ettersberg veranstaltet wurde.

 

Ausgangspunkt bildete der Einführungsvortrag von JOST DÜLFFER (Köln). Der „wilde Kontinent“ (Keith Lowe) stand im Zentrum seiner Ausführungen. Dülffer erinnerte an die Komplexität und Vielzahl der Geschehnisse während des Kriegsendes und wies besonders auf die regionalen Unterschiede hin. Während in Westeuropa mit dem 8. Mai tatsächlich die Kampfhandlungen eingestellt worden waren, hielten diese im östlichen und südöstlichen Europa weiterhin an oder begannen von neuem, etwa mit dem Bürgerkrieg in Griechenland. Den chaotischen Zuständen folgten rasch politische Ordnungsversuche, die sich in Ost und West je nach Besatzungsmacht verschieden ausgestalteten. Somit waren auch die Kategorien, nach denen Menschen als Täter, Mitläufer oder Unbelasteter eingestuft wurden, in den Besatzungszonen unterschiedlich. Die ethnischen und sozialen Konflikte seien mit 1945 ebenso wenig überwunden worden, so Dülffer, wie die materiellen und mentalen Folgen des Krieges.

 

In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde von BERND BONWETSCH (Ebeltoft) auf die Wirkmacht der nationalsozialistischen Propaganda und den Mythos der „Werwölfe“ hingewiesen. Die Rote Armee habe bei ihrem Vorstoß einen ähnlich starken Widerstand erwartet, wie etwa in Polen oder der Ukraine. NS-Täter seien durch die sowjetischen Stellen eher aus ideologischen und sicherheitstaktischen denn aus strafrechtlichen Gründen verfolgt worden. GALINA IVANOVA (Moskau) erinnerte an die Eingliederung der sowjetischen Speziallager in das stalinistische Lagersystem und den hohen Grad an Willkür, der dadurch auf die Verhaftungspraxis gewirkt habe.

Beim gemeinsamen Vortrag mit Julia Landau, (c) Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora
Beim gemeinsamen Vortrag mit Julia Landau, (c) Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora

In seiner Einführung zur Geschichte der Speziallagerforschung betonte ENRICO HEITZER (Oranienburg), dass die frühen Studien zu den Lagern im Kontext des Kalten Krieges zu lesen seien und zumeist eine scharfe Anklage gegen die DDR und die Sowjetunion mitführten. Dies ging einher mit einer Relativierung der NS-Verbrechen und einer Gleichsetzung der „roten KZs“ mit denen der Nationalsozialisten. Bis in die 1980er-Jahre hinein fand das Thema vor allem in geschichts-revisionistischen Kreisen Gehör. Mit Ende des Kalten Krieges und den ersten Gräberfunden in den 1990er-Jahren rückten die Speziallager in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit, wie JULIA LANDAU (Weimar) berichtete. Neben relativierenden Tendenzen stand bei ehemaligen Internierten jetzt vor allem das Bedürfnis nach Rehabilitierung im Vordergrund, welches nicht immer im wissenschaftlich-analytischen Stil eingefordert wurde. Trotz langjähriger Forschung bestehen weiterhin Desiderata. Die Abläufe im Vorfeld der Lagerhaft sind ebenso spärlich erforscht wie Struktur und Zusammensetzung des Lagerpersonals und der Interniertengesellschaft selbst. Letztlich müsse das klare Fazit der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“, die Speziallager hätten nicht der Entnazifizierung gedient, revidiert und differenziert werden.

 

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Zitation:

Tagungsbericht: 25 Jahre Aufarbeitung der Geschichte der sowjetischen Speziallager, 25.06.2015 – 27.06.2015 Weimar, in: H-Soz-Kult, 02.09.2015, <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6137>.

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