Der Zustand des Gedenkens an den Terror im Museum „Perm-36“

Freundlicherweise darf ich hier eine eigene Übersetzung des Artikels veröffentlichen, der auf Russisch am 15. September 2015 auf dem Portal "Ab Imperio" erschienen ist. Ich danke den AutorInnen Maria Turgovets, Daria Buteiko und Evgenij Shtorn für die freundliche Erlaubnis. Es wurden stillschweigend einige Kleinigkeiten angepasst, die für deutsche Leser ansonsten schwerer verständlich gewesen wären.

 

Fotos: Enrico Heitzer

Nach der Absetzung der Leitung des Museums „Perms-36“ und der Ereignisse, die die ehemalige Leitung als “feindliche Übernahme seitens des Staates“ bezeichnet, kamen Befürchtungen auf, dass sich möglicherweise die Repräsentation des Gedächtnisses an den Terror verändern werde. In vieler Hinsicht wurden diese Befürchtungen während des Besuches des Museums von den Teilnehmern der russisch-deutschen Schule für junge Forscher „Die Lehren des 20. Jahrhunderts: Erinnerung an den Totalitarismus in Museen, an Erinnerungsstätten, Archiven und modernen Medien in Russland und Deutschland“ bestätigt, die von der “Friedrich-Ebert-Stiftung“ mit Unterstützung des “Petersburger Dialogs“ organisiert wurde. Sowohl die Gestaltung der Ausstellung, als auch die Inhalte der Führungen die Erinnerung an den Terror vertuschen und tragen so viel zum Vergessen der authentischen Erfahrung im Hinblick auf dessen Aufarbeitung bei.

 

Die Ausstellung erstaunt auf unangenehme Weise durch das Fehlen von Quellenangaben, dem Vorstellen von in einem Museum für politische Verfolgung nicht ganz angemessenen Themen, der Verschiebung des Fokus von den politischen Gefangenen auf die Effektivität der Straforgane, dem Versuch den GULAG mit der Industrialisierung und dem Sieg über den Faschismus in Verbindung zu bringen. Allerdings wird das Wort "GULAG" kaum oder in den Führungen überhaupt nicht erwähnt, und den Terror im Lande kann man nur anhand fragmentarischer Zeugnisse erahnen, er ist nicht in die Grundlagen der Ausstellung eingeschrieben. In der Führung verblüfften inkorrekte, oft nicht zum Thema passende, oder offensichtlich falsche Erzählungen der Guides,  Vermischung von Tatsachen und Vermutungen. Alles dies erweckt einen Eindruck der Ungeordnetheit, Unseriösität und Beliebigkeit des Gedenkortes für den Terror.

 

Der Museumsbesuch begann mit einem Überblick der Sicherungssysteme und den diesbezüglichen Geschichten. Während der Erzählung über einen Fluchtversuch in einer der benachbarten Kolonien benutzte der Guide den Ausdruck „getötet wie eine Fliege“. Die Aufmerksamkeit wurde im Verlauf der Führung hauptsächlich der Verwaltung der Kolonie, ihrem Leben und den Bemühungen um Komfort gewidmet. In der Ausstellung, die der Rohholzgewinnung gewidmet ist, wurde sowohl in den Beschriftungen, als auch in der begleitenden Rede die Wichtigkeit dieses Bereiches für den Sieg über den Faschismus unterstrichen. Dort waren auch aus irgendeinem Grunde idyllische Fotografien von fischenden Burschen und lächelnden Frauen in Pelzkleidung und Filzstiefeln zu sehen, die offenbar nicht mit schwerer Arbeit betraut waren.

 

Während der Führung wurde auch der Kalte Krieg, allerdings in sehr originellem Kontext, erwähnt. In einem der Gefängnishöfe wurde uns ein Souterrain vorgestellt, dessen Bau dem Guide zufolge der Angst vor amerikanischen Bombenangriffen auf „Perm 36“ zu verdanken sei. Es folgte eine Geschichte darüber, wie der Präsident der USA diese höchstwichtige Angelegenheit persönlich mit einem General abgesprochen habe. Die präzisierende Frage nach der Quelle für diese Auskünfte wurde ignoriert, genauso wie auch andere Fragen zu umstrittenen Erklärungen des Guides. So wurde die Frage nach elf mit der (deutschen) Besatzungsmacht kollaborierenden Angehörigen eines Strafkommandos, die angeblich ihre Strafe in „Perm-36“ verbüßt haben, ungeachtet der Bitten der Teilnehmer nicht ausführlich erläutert.

 

In den Wohnräumen der „Zone“ erzählte der Guide von den Kriminellen unter den politischen Häftlingen, über die Erniedrigungen durch die politischen Häftlinge und wie letztere „die Menschenrechte ausnutzten“, um wegen Kleinigkeiten „Skandale anzuzetteln“ und um sich „unbeugsam zu zeigen“. Von den Ansichten der politischen Häftlinge und den Zielsetzungen ihres Kampfes wurde nicht berichtet. Der Gerechtigkeit halber ist anzumerken, dass der Guide die umstrittenden Todesumstände des Dichters Wassilij Stus erwähnte und auch, dass einige politische Häftlinge den Zusammenbruch der UdSSR vorhersagten. Nichtsdestoweniger erschienen vor dem Hintergrund der witzigen Geschichtchen über den amerikanischen Präsidenten und den Predigten über den Nutzen der christlichen Gebote diese Erzählungen unglaubwürdig. Der einzige Raum, der mit kurzen Biografien den Dissidenten gewidmet ist, wurde nur flüchtig angesehen. Dieser Saal ist einer der wenigen, der von den Ausstellungen geblieben ist, die von Wiktor Schmyrow und seinem Team erarbeitet wurden. Gerade diese Ausstellung wurde seinerzeit für die Erzeugung politischen Drucks auf die NGO „Perm 36“ benutzt. Zur Anklagerhebung wurde das Argument der Rechtfertigung von Anhängern des ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera („Banderowzy“) vorgebracht. Hingegen wurde nun ein beträchtlicher Teil von Ausstellung und Führung der Beschreibung des komfortablen Lebens der Häftlinge gewidmet: Ihnen wurde, wie uns vorgestellt wurde, die Benutzung einer Bibliothek mit Lesesaal und einer gut ausgestatteten Krankenstation mit schneeweißen Laken anempfohlen. Auch war Häftlingskleidung ausgestellt, zu denen nach der Version des Museums unter anderem warme Filzstiefel gehörten. Nach der Version ehemaliger Häftlinge standen jedoch Filzstiefel den Gefangen in „Perm-36“ nicht zu.

 

Die Exkursionsteilnehmer wurden nicht in die Zone des „besonderen Regimes“ geführt, wo die politischen Gefangenen inhaftiert waren. Die Erklärungen der Museumsleitung und der Guides über die Gründe wichen voneinander ab. Letztere sagten während der Führung, dass wir dorthin noch fahren würden, verzögerten jedoch die Führung stark, die Verwaltung verwies wiederum auf angeblich am Objekt durchgeführte Wiederherstellungsarbeiten.

 

Die Veranstaltung endete mit einem Gespräch der Gäste mit den Mitarbeitern des Museums. Der Guide der russischsprachigen Gruppe wies mit nebulösen Andeutungen auf die Gefahr des Nationalismus hin, allem Anschein nach, die des ukrainischen. Der Stellvertretende Direktor für die wissenschaftliche Arbeit der „Staatlichen Kultureinrichtung des Permer Gebiets ‚Gedenkstätte der politischen Repressionen’“ Grigorij Sarantscha antwortete auf die vielen Fragen der Experten, einschließlich jener zur unangemessenen Ausstellung in der Krankenstation und zu den Filzstiefel im Umkleideraum nicht. Der Vorsitzende des Menschenrechtsrates beim russischen Präsidenten, Michail Fedotow, drängte die Gäste zur Eile, damit diese sich „nicht völlig verspäteten“, und verhinderte die offene Diskussion. Später äußerte Michail Fedotow den Wunsch, dass sich das Museum „Perm-36“ „als Museum der politischen Repressionen mit Ausstellungen entwickelt, die Verfolgten und politischen Häftlingen gewidmet sind, und nicht als Museum für den Prototyp einer Strafanstalt“.

Im Museumshof, nahe am Ausgang, hingen dem Sieg über den Faschismus gewidmete Plakate.

 

Zudem wurden den Gästen kleine Heftchen geschenkt, die von der Staatlichen Kultureinrichtung „Gedenkstätte politischer Repressionen“ abgefasst wurden. Insgesamt ist diese Broschüre der Beschreibung der Einrichtung des Lagers und seiner Funktionstüchtigkeit gewidmet. Jedoch kann man auf der ersten Seite folgendes lesen:

Die Gedenkstätte politischer Repressionen befindet sich auf dem ehemaligen Territorium des Lagers VS 389/36. Die ersten Gebäude der Besserungsanstalt entstanden 1946. Im Lager waren Kriminelle, „Bytowiki“ (Häftlinge, die für Wirtschaftsverbrechen verurteilt wurden) und „Ukazniki“ (Personen, die für Arbeitsversäumnisse ohne triftige Gründe verurteilt wurden, etwa für mehrfache Verspätungen über 20 Minuten, für den eigenmächtigen Abgang von Unternehmen mit militärischer Bedeutung u.a.). Die Delinquenten beschäftigten sich mit dem Fällen von Bäumen und der Holzverarbeitung. 1953 bis 1972 waren im Lager für verschiedene Verbrechen verurteilte Mitarbeiter der Rechtsschutzorgane, der Gerichte und der Staatsanwaltschaft inhaftiert. 1972 wurde das Lager umstrukturiert und politische Häftlinge aus anderen Lagern wurden dorthin überführt. Bis 1987 bestand die Insassenschaft des Lagers aus politischen Häftlingen, aber auch aus Verurteilten nach anderen Artikeln des Strafgesetzbuches. 1988 wurde das Lager aufgelöst“. (Ein Scan der Broschüre kann hier als PDF heruntergeladen werden.)

 

Wie man in diesem kurzen einführenden historischen Exkurs am Beginn des Informationsheftchens bemerken kann, ist das Wort „GULAG“ nicht einmal erwähnt, jedoch wird detailliert beschrieben, was Kategorien wie „Ukaznik“ oder „Bytowik“ bedeuten. Darüber hinaus sprach auch einer der Guides das Wort „GULAG“ während der Führung nicht einmal aus. Der Akzent des Narrativs wurde von den politischen Häftlingen auf die „Verbrecher“ verschoben, von den Rechtsverletzungen gegenüber den Häftlingen im Lager wurden nur bruchstückshaft erzählt. Das alles steigert die Befürchtungen, dass das einzige Museum der „politischen Repressionen“ ein Museum geworden ist, das berufen ist, die Rechtschaffenheit der Bewacher, die Unverbrüchlichkeit und die Funktionstüchtigkeit des Strafvollzugswesens der UdSSR zu demonstrieren.

 

 

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Anmerkung Enrico Heitzer: Die Gedenkstätte verfügt inzwischen auch über einen deutschen Audioguide, der in er Smartphone-App Maugry läuft. Die englische Fassung lässt sich aber auch online unter folgenden Links erreichen und anhören:

 

http://w.maugry.ru/?id=fc9d4960-b4c0-4af2-89de-60de197dcec2

http://w.maugry.ru/?id=6af156db-8ca8-4102-8861-25e600c2d073

http://w.maugry.ru/?id=5fe16fcf-9bf4-47df-80fe-e5b93f7cf2eb

http://w.maugry.ru/?id=8649bc48-1d71-4c37-9ce8-3a25c690e4db

http://w.maugry.ru/?id=ade13657-8978-4806-b0c1-8d3c1ed4fb13

http://w.maugry.ru/?id=6af156db-8ca8-4102-8861-25e600c2d073

http://w.maugry.ru/?id=0061c3aa-3aa4-4ef3-8b65-49a859289ade

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Peter Müller (Dienstag, 22 September 2015 16:40)

    Das klingt alles ausgesprochen unerfreulich. Warum liest man solche Sachen nur hier und nicht in den Zeitungen?