Buchvorstellung: Der Schäferhund-Science-Hoax

Zwischen kritischer Geschichtswissenschaft, Human-Animal StudiEs und akademischem Trendsurfing

Gestern fand im Rahmen der Aktionswochen gegen Antisemitismus bei der Amadeu Antonio Stiftung die Präsentation des Sammelbandes „Chimära mensura?“ statt, der den Schäferhund-Hoax aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Auf dem Podium nahmen Antonia Schmid, Markus Kurth, Sven Schultze und ich Platz. Die Moderation übernahm Juliane Schütterle. Nach Impulsreferaten – Markus Kurth stellte die gehoaxten Human-Animal Studies vor, Sven Schultze kritisierte deren erkenntnistheoretischen Grundlagen, ich rekapitulierte, was es ermöglicht hatte, eine solch plumpe totalitarismustheoretisch drapierte Story vom Nazi-Kommunisten-Schäferhund im KZ, sowjetischen Speziallager und an der Berliner Mauer in der Hauszeitschrift des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung unterzubringen und Antonia Schmid fragte nach dem Zusammenhang zwischen dem Hoax-Geschehen und der prekären Ordnung akademischer Forschung der Gegenwart – ging es in die Debatte mit dem Publikum.

 

Es waren etwa 50 Personen erschienen, darunter auch einzelne, die direkt in den Hoax involviert und solche, die vom Hoax betroffen gewesen waren. Es waren neben Markus Kurth weitere Angehörige des gehoaxten Chimaira Arbeitskreises für Human-Animal Studies gekommen, die im Oktober 2016 dem Workshop, dessen Ergebnisse im Sammelband abgedruckt sind, noch geschlossen ferngeblieben waren. 

 

 

Ich war überrascht von dieser Gruppe, im Positiven wie im Negativen. Einerseits beeindruckte mich Kurth, der sich der z.T. harschen Kritik stellte und – auch wenn er nicht alle Punkte aus dem Weg zu räumen vermochte - dennoch klug diskutierte und parierte. Andererseits fielen andere HAS-Anhänger*innen durch Plattitüden bzw. eine z.T. an Peinlichkeit grenzende „Argumentation“ auf. Ich brachte beispielsweise ein grundsätzliches Unbehagen mit den im HAS-Kontext zu findenden, manchmal naiv, manchmal geschichtsvergessen und unbekümmert erscheinenden Dekonstruktionsaktivitäten an der Grenze zwischen Mensch und Tier, die die Trennung oft zumindest stark verwischen, zum Ausdruck. Seit ich mich mit diesem Forschungsfeld beschäftige, fallen mir diese Bemühungen immer wieder auf. Parallel zu den Lektüren von Texten dieses Feldes lief bei mir deshalb immer die Frage mit, ob es bei den HAS-Akteur*innen überhaupt ein Bewusstsein für den mitunter schmalen Grat gibt, auf dem sie sich mitunter bewegen und ob den Handelnden klar ist, dass die theoretische Unterfütterung der Auflösung der Separation zwischen Mensch und Tier ein zentraler Baustein der NS-Rassebiologie war. 

Johann Chapoutot schrieb unlängst zu diesem Kontext folgendes: „Das Tier wird von den Juden (und, was keinen Unterschied macht, von den Christen) gequält, weil es ebenso entzaubert wurde wie die Natur, der es angehört. Über dieser thront zwar Gott und beherrscht sie, doch aus weiter Ferne. Geht man den Texten zu dieser Frage nach, so findet man allenthalben die Idee, dass die Juden Materialisten sind (sie betrachten die Welt als bloße Materie) und Metaphysiker (sie haben die Trennung zwischen dem Göttlichen und der Natur herbeigeführt). […] Die jüdisch-christliche Weltauffassung dagegen bricht einem brutalen und kalten Materialismus die Bahn. Die Welt, aus der ein ferner Gott sich zurückgezogen hat, ist nur noch entzauberte Materie, allen ausbeuterischen und zerstörerischen Handlungen des Menschen preisgegeben. Der jüdische Materialismus äußert sich nicht nur in der rassentypischen zügellosen Leidenschaft für das Geld, sondern auch in dieser Metaphysik, die eine Trennung zwischen physischer Welt und spirituellem Prinzip errichtet. […] Wir haben es, wie man sieht, mit einer Religion der Verbindung und einem Denken der Verschmelzung zu tun – ganz das Gegenteil einer unterscheidenden Rationalität, eines ständigen Auseinanderhaltens, einer andauernden Trennung, wie sie das dialektische jüdische Denken praktiziert. Was den Juden vorgeworfen wird, ist schlicht eine spekulative Intelligenz und eine Metaphysik, die dem Animismus fremd ist (dieser kennt ja kein Jenseits – kein meta – der physischen Wirklichkeit).“ 

Dass meine Frage nach einem Problembewusstsein für potentielle Abgründigkeiten, mögliche Doppelbödigkeiten und überhaupt denkbare Gefahren beim hemdsärmelig-fröhlichen Einreißen der Mensch-Tier-Grenze nicht beantwortet, sondern totalabwehrend mit dem historisch kontaminierten Begriff der „Sippenhaft“ hantiert wurde, hat die von mir dargelegte Beunruhigung weiter angefeuert … Dass zugleich die meiner Wahrnehmung nach ziemlich verbreiteten Holocaust-Banalisierungen im Feld der HAS zu unbedeutenden Randphänomenen heruntergeredet wurden, oder mit absurden Beispielen – man dürfe keine Forschungen mehr zur Nutzung des Taschentusches durchführen oder Kunst machen, wenn man der Argumentation der Podiumsteilnehmenden folge – de facto das betrieben wurde, was sonst als „Derailing“ bezeichnet wird, war ernüchternd. Ein Lichtblick war der Panelist Markus Kurth, der mangelnde Debatten über die Abgründigkeit mancher Argumentationslinie im Feld der HAS einräumte und diesen Punkt zur Aufgabe erklärte, die in diesem Forschungsfeld noch zu bearbeiten sei.

 

Das immerhin macht Hoffnung.

PS: Genozide an Mikroben, Pflanzen, Tieren: In ihrem neuen Buch „Unruhig bleiben“ (Campus 2018) schreibt die HAS-Vordenkerin Donna Haraway in einem Teil, in dem sie sich mit Hannah Arendt auseinandersetzt, mit einem direkt aus esoterischen Kontexten stammenden Vokabular davon, dass der nationalsozialistische Massenmörder Adolf Eichmann „direkt aus dem Wirrwarr des Denkens in die Praxis des Normalbetriebs, egal, was passiert, astralisiert“ und deshalb zum Täter geworden sei. Zudem plädiert sie dafür, den Genozid-Begriff nicht ausschließlich für Menschen, sondern für „Leute und andere Kritter“ zu nutzen. Bei Letzterem handelt es sich um ein Kunstwort, das Haraway „für Mikroben, Pflanzen, Tiere, Menschen, Nicht-Menschen und manchmal auch für Maschinen“ (Zitat aus der Einleitung) einsetzt.

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