Vorwurf: "Aktiver Nazi, Werwolf oder Agent": Buchvorstellung und Diskussion

Dienstag, 3. September 2019, 18.30 Uhr, in der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen

 

Eine Kooperationsveranstaltung der Gedenkstätte und der Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der Kommunistischen Diktatur 

 

Das gründlich recherchierte Buch trägt einen sperrigen Titel und auch sein Inhalt ist eher sperrig. Andreas Weigelt rekonstruiert in der Studie die Biografien von 317 Personen, die zwischen Mai 1945 und Dezember 1955 in Bad Freienwalde und Umgebung vom sowjetischen Geheimdienst festgenommenen worden sind. Viele von ihnen, etwas über 50 wurden davon wurden im sowjetischen Speziallager Nr. 7/Nr. 1 in Weesow und in Sachsenhausen inhaftiert. 25 davon starben in Weesow und Sachsenhausen.

 

Im Zentrum der Präsentation von Weigelts zentralen Forschungsergebnissen und der anschließenden Diskussion standen die Fragen: Wer waren diese Menschen, was wurde ihnen von der sowjetischen Seite vorgeworfen, trafen die Vorwürfe zu und wenn ja, was trieb sie an?

 

Andreas Hilger, profilierter Stalinismus- und Geheimdiensthistoriker, schreibt in seiner Rezension des Buches an zentraler Stelle: „Hervorzuheben bleibt jedoch unter anderem die Erkenntnis, dass die sowjetische Besatzungsmacht in ihrem Bestreben, den Nationalsozialismus endgültig zu zerschlagen und die eigene Präsenz zu schützen, Verhaftungen weniger blindwütig als kalkuliert und ausgewählt vornahm, zumindest vornehmen wollte.“

 

Ich ergänze zwei Punkte: Erstens verweist Weigelts Buch, das in zahlreichen Fällen auf Haftvorwürfe verweist, die in die Zeit der NS-Diktatur zurückweisen, auf ein grundsätzliches Problem der Historiographie in Ostdeutschland. Es gibt z.T. überhaupt keine regionale Forschung zur Lokalgeschichte im Nationalsozialismus, auf die man bei Forschungen zur Nachkriegsentwicklung zurückgreifen müsste, etwa wenn es um die Einschätzung des Charakters der sowjetischen Speziallager geht. Da es diese Regionalforschung kaum gibt, bleibt man oft mit dem Vorwurf konfrontiert, den man den Unterlagen des sowjetischen Geheimdienstes entnehmen kann, die meist in den 90er Jahren in Kopie nach Deutschland gelangten. Es gibt bis heute keine umfassende Darstellung der Geschichte Potsdams im Dritten Reich. In Weigelts Buch wird das exemplarisch am Fall von Franz Block deutlich, der bereits 1931 der NSDAP und SA beitrat und als Saalschutz bei Veranstaltungen in körperliche Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern verwickelt war. Ab 1940 leitete Block den SA-Sturm Bad Freienwalde. Er wurde nach der Internierung in mehreren Speziallagern und 1950 in den "Waldheimer Prozessen" u.a. wegen seiner Beteiligung an der Zerstörung der Synagoge in Bad Freienwalde in der „Reichskristallnacht“ verurteilt. Weigelt muss in seinem Text darauf verweisen, dass es kaum veröffentlichte Schilderungen der Vorgänge in der Pogromnacht in Bad Freienwald gibt, ein Manko, das meiner Ansicht nach direkt auf eine nur mangelhafte NS-Aufarbeitung in weiten Teilen Ostdeutschlands verweist, die ich für eine der wichtigsten Ursachen der heutigen ostdeutschen politischen Rechtsentwicklung halte.

 

Zweitens ist Weigelts hervorragendes Buch ein erneuter Beleg dafür, wie dringend nötig Forschungen zur Zusammensetzung der Häftlinge - der „Häftlingsgesellschaft“ - der sowjetischen Speziallager brauchen, weil mit Kategorien aus dem Arsenal der banalisierten Totalitarismustheorie die Debatte um die Bewertung der Praxis der sowjetischen Nachkriegsinhaftierung kaum versachlicht werden kann. 

 

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