Erinnerung an den Totalitarismus in Museen, an Gedenkstätten, Archiven und modernen Medien in Russland und Deutschland: Persönlicher Rückblick

Vom 16. bis 22. Oktober 2016 fand die inzwischen jährlich durchgeführte Internationale Sommeruniversität für Nachwuchswissenschaftler*innen „Die Lehren des 20. Jahrhunderts: Erinnerung an den Totalitarismus in Museen, an Gedenkstätten, Archiven und modernen Medien in Russland und Deutschland“ in Moskau und Perm/Ural statt. Organisiert wird dieses außergewöhnliche Forum für Nachwuchswissenschaftler*innen von der Friedrich-Ebert-Stiftung Moskau, dem Petersburger Dialog, dem Russischen Staatsarchiv für sozio-politische Geschichte (RGASPI) und dem Staatlichen Museum zur Geschichte des Gulag in Moskau. Nicht mehr mit von der Partie war dieses Jahr leider die Gesellschaft Memorial, obwohl einige Forscher*innen und Aktivist*innen von dieser Organisation bzw. aus deren Umfeld teilnahmen und sich auch mit Beiträgen einbrachten.

 

 

Nach dem Auftakt im GULag-Museum in Moskau, dessen neue Ausstellung vor einem Jahr eröffnet wurde, ging es am nächsten Tag zum „Butovo Polygon“, eine der Haupthinrichtungsstätten des Großen Terrors der Jahre 1937/8. Das Museum ist sowohl gestalterisch als auch inhaltlich gelungen, wenn auch das Thema der Täter eher beiläufig Erwähnung findet. Es dort begrüßten Roman Romanow, Direktor des GULAG-Museums, Michail Fedotow, Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Zivilgesellschaft“ des „Petersburger Dialogs“ & Vorsitzender des Rats des Präsidenten der Russischen Föderation für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte, Jens Hildebrandt, stellvertretender Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Moskau, ein Vertreter der deutschen Botschaft und Andrei Sorokin, Direktor des Russischen Staatliches Archivs für soziale und politische Geschichte (RGASPI). 

Einen Flug später brachte der dritte Tag eine Exkursion in das Dorf Kučino, wo sich die Gedenkstätte „Perm 36“ befindet, um die seit mehreren Jahren heftige Konflikte toben. Inzwischen ist der alte Trägerverein völlig aus der Gedenkstätte herausgedrängt worden. Nachdem die ehemalige Leitung mit Prozessen traktiert wurde, hat sich der Verein im August 2016 endgültig aufgelöst. Die Gedenkstätte wird umgestaltet. Wohin die Reise gehen wird, ist noch nicht völlig absehbar. Es gibt jedoch klare Indizien, dass eine Integration in ein größeres staatlich gestütztes Narrativ angestrebt ist, die weniger die Repressionsfunktion akzentuiert als die Bedeutung der GULag-Ökonomie beim Sieg über den Faschismus im Großen Vaterländischen Krieg (siehe meine Ausführungen vom letzten Jahr, inkl. Übersetzungen von Ausstellungstexten). Im April 2016 löste ein Text auf der offiziellen Website der Gedenkstätte Perm-36 Empörung aus, in dem die „Effizienz“ der „Sharashki“ genannten geheimen Entwicklungs- und Konstruktionsbüros betonte, in denen unter der Ägide des Geheimdienstes NKVD strafgefangene Ingenieure und Techniker u.a. an Entwicklungen im Bereich der Flug- und Waffentechnik arbeiteten. 

Der Text wurde nach einigen Protesten zurückgezogen, doch deuten auch andere Neuerungen darauf hin, dass der Umgang mit dem Thema „Gulag“ in der Gedenkstätte „Perm-36“ anders akzentuiert wird, als von der NGO um Tatiana Kursina und Viktor Shmyrov, die bis 2014 dort das Sagen hatten.

 

Zur bereits zuvor kritisierten Neugestaltung eines Saals einer Baracke, in dem die Betten plötzlich mit sauberem Bettzeug, nun auch der Wohnraum mit einem Schachspiel und einem hübschen Teekessel drapiert wurden, kam nun noch ein Zitat – aus gerecht von Warlam Schalamow – hinzu. Prominent an der Wand des Wohnraums der Häftlingsbaracke findet sich folgende Inschrift, interpretierbar als eine Art Motto: „Человек счастлив своим умением забывать. Память всегда готова забыть плохое и помнить только хорошее.“ („Der Mensch ist wegen seiner Fähigkeit zu vergessen glücklich. das                         Gedächtnis ist immer bereit, das Schlechte zu vergessen und sich nur an das Gute zu erinnern.“).

Tatiana Kursina kam später auf der Tagung vorbei und berichtete über den Stand der Dinge. Die Verfahren, die gegen den Verein gerichtet wurden, seien inzwischen eingestellt. Der Verein habe sich aufgelöst. Bitter gratulierte sie den Behörden zu einem Sieg. Im Publikum saß auch die neue Direktorin der Gedenkstätte. Zwischen beiden Frauen kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Ich moderierte das Gespräch mit allem mir zu Gebote stehendem Fingerspitzengefühl. Es wurde wohl allen Teilnehmer*innen deutlich, welche schmerzhaften Wunden der Konflikt hinterlassen hat.

„Nebenher“ lief auch noch ein interessantes inhaltliches Programm. Viele gute Projekte wurden präsentiert, die sowohl auf den Bereich Wissenschaft als auch auf den Bereich Aufarbeitung und Erinnerung verweisen. Anke Giesen war die kompetente Ansprechpartnerin, die nicht nur ihre Expertise zur Genese des Konfliktes in einem Vortrag zum besten gab, sondern auch immer zu Rate gezogen werden konnte, wenn man an einem Detail, etwa in der Ausstellung, in den Aussagen oder der eigenen Erinnerung zweifelte. Eine subjektive Auswahl der Vorträge: Konstantin Kotkin vom Heimatmuseum Murmansk stellte die dortigen Ausstellungen vor; Zhanna Artamonowa (RGASPI) präsentierte eher unbekannte Quellen und ihre „Prosa“ zu den Moskauer Schauprozessen der 30er Jahre; Anna von Arnim-Rosenthal (Stiftung Aufarbeitung) stellte das dortige Zeitzeugenprogramm vor. Basierend auf einer skizzenhaften Darstellung der der bisherigen Täterforschung in Deutschland und anderen westlichen Ländern einige Überlegungen zu entwickeln, wie der damit verbundene Blick auf die Beziehung zwischen Einzelperson und Herrschaftsgefüge, zwischen Handlungsspielräumen und –zwängen und auch Motiven, jenseits von Repressionen „mitzumachen“, fruchtbar für die künftige Erforschung der sowjetischen Geschichte, insbesondere für die Jahre der Stalin-Herrschaft, sein könnte. Anregend waren die Überlegungen von Ljubow Gabowa (Staatliche Universität Perm), die sich u.a. mit dem methodologischen Rüstzeug Foucaults daran machte, die Haft- und Disziplinierungspraxis in der Stalin-Zeit in längere historische Linien einzuordnen, die nicht erst im 20. Jahrhundert ihren Anfang nahmen. Nicht so recht überzeugend fand ich hingegen die Präsentation der Überlegungen von Amalija Prtawjan (Jüdisches Museum und Toleranzzentrum Moskau), die in ihrem Projekt zu den unterschiedlichen Traumata, die jeweils mit „Auschwitz“ und dem GULAG verbunden sind, zu deren Gemeinsamkeiten und Unterschieden, aber auch zu deren jeweiliger Verarbeitung forscht. In dem Projekt steckt aber einiges Potential.

Wie jedes Mal gab es Schwierigkeiten mit lokalen, anscheinend eher stalinistisch oder zumindest sowjetnostalgisch orientierten Aktivisten. So „beehrten“ uns zwei Personen eines angeblichen Fernsehteams, die sich weigerten, ihre Presseausweise zu zeigen. Am Donnerstag waren sie bereits während des Tages erschienen, konnten sich jedoch keine Zutritt zu unserem Konferenzraum verschaffen, weil Teilnehmer der Gruppe ihnen den Zutritt verweigerten. Am Freitag waren sie einfach am Morgen schon vor Ort und standen mitten im Raum. Sie ließen sich zwei Stunden lang nicht abweisen und gingen erst, nachdem sie mit großer Beharrlichkeit Foto- und Filmaufnahmen von den Teilnehmer*innen gemacht hatten. 

 

Außerdem fabulierte ein entsprechend politisch orientiertes Blog in einer kruden Verdrehung verschiedener Tatbestände, dass eine „Fake-Baroness“ nach Perm geeilt sei, um den Teilnehmern der Tagung Lektionen in Sachen Totalitarismus-Aufarbeitung zu erteilen. Dabei gebe es diese Baroness Anna von Arnim-Rosenthal gar nicht. Einen TV-Bericht des angeblichen Fernsehteams, das uns so aggressiv belästigt hat, konnte ich bis heute nicht im Internet finden. Es bleibt abzuwarten, wie es im Konflikt um die Gedenkstätte Perm 36 weitergeht.

 

 

 

Ich danke Anna von Arnim-Rosenthal und Anke Giesen, deren Fotos ich neben meinen eigenen nutzen darf.

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